Yogaunterricht: eigener Atem, eigenes Tempo

Im Yoga, vornehmlich in der Asanapraxis, ist der Atem der Taktgeber für die Bewegung. Hier zeigen sich feine, aber erhebliche Unterschiede zu anderen Bewegungsformen.

Bestimmt hast Du schon beobachten können – oder hast es an Dir selbst erlebt – wie sich manche Menschen beim Sport, z. B. im Fitnessstudio, abstrampeln und ihrer Bewegung „hinterherhecheln“. Bei besonders fordernden Einheiten wird der Atem (unbewusst) vor lauter Anstrengung auch mal angehalten oder, wenn es nicht mehr anders geht, regelrecht ausgestöhnt. Das mag gehen, aber im Yoga ist das nicht die Idee.

Es gibt verschiedene Formen des Atmens, wenn es um Bewegung geht.

Nebenbei atmen

Auf Laufbändern habe ich schon häufig das Phänomen der „abgelenkten“ Bewegung und damit der nebenbei vollzogenen Atmung wahrgenommen. Egal, ob den Sportlern das Laufen auf dem Laufband Spaß macht oder ob es zum unliebsamen Pflichtprogramm gehört: Es ist äußerst praktisch, beim Laufen einen Film anschauen oder Musik hören zu können. Alles, um sich von der monotonen Bewegung und vielleicht auch von den umliegenden Geräuschen abzulenken oder sich durch Musik anzuspornen – wie vielleicht auch beim Joggen im Freien. Die Bewegung geschieht fast unbewusst, nebenbei; ebenso verhält es sich mit der Atmung.

Parallel atmen

Im Sport verbreitet, oft auch im Yoga, ist das „parallele“ Atmen. Mit einer Bewegung wird eingeatmet, mit der nächsten ausgeatmet. Bewegung und Atmen gehen nebeneinander her. Nicht selten wird hier der Atem und seine Intensität an die Bewegung angepasst.

Taktgeber Atem

Im Yoga ist die Atmung das A und O. Erst die Atmung vermag es, die erwünschte Einheit von Körper, Geist und Seele zu schaffen. In der fließenden Yogapraxis möchte ich meine Bewegung vom Atem führen lassen. Der Beginn meiner Einatmung beispielsweise setzt den Impuls für die nächste Bewegung. Somit kommt dem Atem ein besonderer Stellenwert zu, und die Qualität meiner Bewegung verändert sich.

Max Strom hat im Interview mit Lebensflow so schön gesagt:

„Eine vom Atem geführte Yogapraxis (breath initiated movement) entwickelt und beruhigt Geist und Emotionen.“

Auf die Weise spüre ich auch sehr deutlich, wenn ich in meinen Bewegungen zu weit gehe.

Je tiefer und länger der Atem fließt, desto langsamer und bewusster werden die Bewegungen. Und desto mehr erfüllt der Atem seine Funktion im Yoga: eine Brücke zwischen Körper und Geist herzustellen.

Atemansagen im Yogaunterricht

Sicherlich sind Dir aus Yogaklassen Ansagen wie „Mit Deiner nächsten Einatmung hebe den Oberkörper.“ oder Ähnliches bekannt? Ganz ehrlich: Ich habe mich schon so oft gefragt, wie es sein kann, dass bei allen Teilnehmern die nächste Einatmung just ansteht? Denn in der Regel bewegen sich die meisten im nächsten Moment dorthin. Ja, auch mir geht es als Teilnehmerin manchmal noch so. Gruppenzwang? Lehrerhörigkeit? Menschlichkeit! Immer wieder versuche ich mich daran zu erinnern, meinem eigenen Atem zu folgen und die Ansagen der Lehrerin oder des Lehrers als Anregung zu verstehen.

Ich liebe dynamische Vinyasaklassen, aber das Atemtempo, das in vielen Klassen vorgegeben wird, bringt mich gern aus der Puste, aus meiner Mitte, aus meinem Tempo – und versetzt meinen Geist in Rage. Was auch wieder etwas über mich aussagt …

Dann gibt es glücklicherweise die kleinen Momente, in denen sich alle wiederfinden und gemeinsam tief atmen, z. B. im herabschauenden Hund.

(Photocredit: ©Jacqueline Kulka / jKnOw photo design)

2 Comments

  1. Patrizia said:

    Schöner Beitrag!
    Ich glaube, dass tatsächlich viele Menschen dem Druck des Gedankens unterliegen, dass man sich dem Tempo des/der Lehrers/Lehrerin anpassen muss… Dabei ist das ja nur eine Orientierung…
    Auf jeden Fall finde ich es schön, dass du es mal so auf den Punkt bringst!
    LG Patrizia

    15. November 2016

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