Der größte Sinn von Yoga, und somit auch der größte Nutzen, liegt meiner Meinung nach darin, etwas für und mit sich selbst zu tun, sich selbst zu entdecken – das trifft auf Kinder wie Erwachsene gleichermaßen zu.
Den größten Teil unseres Alltages verbringen wir damit, uns in verschiedenen Rollen zu behaupten (als Schüler/Lehrer, als Kind, als Elternteil, als Sportler usw.). Gerade für Kinder ist es wichtig, diese verschiedenen Rollen zusammenzubringen: Das alles bin ich und wer/was kann ich alles sein!? All diese Anteile gehören zu mir und machen mich aus – und das ist gut so! Ich darf mich in verschiedenen Rollen ausprobieren und alles zulassen was zu mir gehört, was meine Persönlichkeit, mein Selbst ausmacht und bildet.
In diesem Sinne kann Kinderyoga ein sinnvolles „Hilfsmittel“ für die Persönlichkeitsentwicklung sein.
Erwartungen der Erwachsenen
Doch die Erwartungen der Erwachsenen (Eltern/Lehrer/Erzieher) an die Kinder sind meist hoch: Mein Kind soll vom Yoga bitte ruhiger werden, sich besser konzentrieren können, es soll hören und machen was man ihm sagt … So ließe sich diese Liste beliebig fortsetzen.
Manchmal höre ich die Bitte der Eltern/Lehrer heraus, ich möge doch bitte auf Knopfdruck dafür sorgen, dass das Kind artig, ruhig, angepasst wird. Gilt Yoga als Wunder- oder Allheilmittel?
Ich schreibe das etwas provokant, aber so ist bisweilen mein Erleben. Leider hat bisher noch niemand den Wunsch geäußert, dass das Kind Spaß haben soll, sich selbst etwas Gutes tut, sich selbst entdeckt. Obwohl das sicherlich auch ein Wunsch von Eltern/Erziehern/Lehrern ist.
Warum ausgerechnet Yoga?
Für mich ist ganz klar:
„Kinder SIND Yoga!“
Sie leben im Hier und Jetzt, sie besitzen Fantasie, sie lassen sich begeistern, sie haben Lust zu lernen und Spaß am Tun, sie wollen sich bewegen. Im Yoga erhalten sie die Möglichkeit, sich selbst und ihren Körper zu erleben, im Kontext mit anderen Kindern und auch mit mir als Yogalehrerin. Ich möchte Kinder nicht verändern; ich möchte sie darin unterstützen, in ihrer Persönlichkeit angenommen zu sein und auch sich selbst anzunehmen. Mein Wunsch ist es, dass das Kind in erster Linie nach sich schaut, spürt und und tut, was ihm guttut. Was und wie die anderen etwas machen, ist nicht so wichtig (ob der Nachbar z. B. den Baum „schöner“ macht oder mit der Nase das Knie berührt).
Das ist für mich persönlich einer der grundlegenden Unterschiede zwischen Yoga und anderen Bewegungs- oder Sportangeboten. Yoga ist im Wesentlichen introvertiert, also nach innen, auf mich selbst gerichtet. Ich soll mich mit mir selbst beschäftigen. Während bei den meisten anderen Angeboten etwas getan werden soll, was vorgegeben, was mess- und vergleichbar ist.
In vielen Situationen, sei es Schule oder Sport, wird von Kindern meist etwas Bestimmtes erwartet. Darauf sind Kinder in der Regel auch sehr fokussiert. Da Kinder auf unser Wohlwollen angewiesen sind und je nach Alter mehr oder weniger abhängig von uns sind, werden sie in den meisten Fällen versuchen, unsere Erwartungen zu erfüllen und tun nicht unbedingt das, was sie selbst wollen oder fühlen.
Natürlich kann niemand nur machen was er will, gerade nicht im sozialen Miteinander. Es gilt, ein gutes und gesundes Mittelmaß zu finden. Hierzu gehört auch, seinen eigenen Gefühlen zu vertrauen. Wut und Ärger sind als wichtige Gefühle ebenfalls ein Teil von uns. Kinder benötigen Anleitung und Vorbilder, um dies alles zu integrieren. „Traue Dir selbst und Deinen Gefühlen“ ist etwas, was wir Erwachsenen häufig verlernt haben – oder nie erlernt haben. Yoga ist ein Weg, sich dies zurückzuerobern.
Im Yoga sollen Kinder dazu angeleitet werden, sich selbst zu regulieren. Yoga bietet die Chance, wieder mehr in Kontakt mit sich selbst, seinen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen zu kommen. Sowohl die Fantasie als auch die Intuition werden hier gefördert. Außerdem bringt Yoga natürlich auch einen vielfachen Nutzen auf der körperlichen Ebene.
Menschenbild
Das Menschenbild ist ein für mich äußerst wichtiger Aspekt, denn die eigene Sicht auf die Menschen sagt viel über mich (auch als Lehrer) aus!
In der Ausbildung frage ich die angehenden KinderyogalehrerInnen gerne, warum ein bestimmtes Verhalten sie besonders ärgert oder nervt. Denn immer haben die Gefühle, die andere Menschen in uns auslösen, direkt etwas mit uns selbst zu tun. Dies zu wissen und anzunehmen ist ein wichtiger Schritt, vor allem auch in der Arbeit mit Kindern, die ein hervorragender „Spiegel“ sind. Selbstreflexion (im Yoga Svadhyaya) ist für mich eine wichtige Kompetenz, um ein guter Lehrer zu sein.
Für mich ist jedes Kind (ich könnte „Kind“ auch durch „Mensch“ ersetzen) erst einmal ein perfektes Individuum. Und ist es nicht auch das, was uns Yoga schenken kann? Uns so anzunehmen wie wir sind und auch andere so sein zu lassen, wie sie sind? Eine wirkliche Herausforderung! Manchmal bin ich tatsächlich erschrocken, wie viele Kinder es gibt, die kaum Lob und Anerkennung erfahren, nicht gesehen werden als Person und nicht geliebt sind um ihretwillen.
Sicher leben auch die Eltern in dem Druck, funktionieren zu müssen, Erwartungen anderer zu erfüllen und dies vor die eigenen Bedürfnisse zu stellen. Kein Wunder also, dass unsere Kinder genau mit diesen Schemata groß werden und früh schon in diesem Hamsterrad unterwegs sind. Dabei haben Kinder erst einmal alle Qualitäten, die wir im Yoga lehren: Sie sind Yoga, sie sind kleine Yogis.
Leider trainieren wir ihnen diese ganzen Kompetenzen frühzeitig ab, und mit 30 oder 40 Jahren merken wir dann an uns, den früheren Kindern, dass irgendwas fehlt. Dass Glück nicht daraus entsteht, möglichst viele Güter anzuhäufen oder 80 Stunden pro Wochen zu arbeiten. Dann entdecken wir vielleicht Yoga oder eine ähnliche Philosophie und erarbeiten uns äußerst mühsam wieder, was einst zu unseren Kernkompetenzen gehörte. Irgendwie verrückt, oder?
Kinderyoga – ein Geschenk auch für Schulen
Meiner Meinung nach wäre es essenziell, Kindern in der Erziehung Selbstvertrauen, Gelassenheit, eine Möglichkeit der Entspannung/Kontemplation, Zugang zu ihren Gefühlen, Empathie beizubringen.
Dass Kinderyoga auch an Schulen, Kindergärten und andere Institutionen irgendwann zum Alltag gehört, ist mein großes Ziel und einer meiner Herzenswünsche! Dieser Wunsch treibt mich an. Deshalb bin ich Kinderyogalehrerin. Ich habe in den vielen Jahren meiner Arbeit so viele wunderbare Erlebnisse mit Kindern gehabt, dass ich davon überzeugt bin:
„Wir können die Welt ein bisschen besser machen!“
Es mag pathetisch klingen, aber ich glaube fest daran, dass wir etwas ändern können und müssen! Wir sollten unseren Fokus wieder auf Dinge und Werte richten, die wirklich wichtig sind: Liebe, Mitgefühl, Vertrauen, gemeinsam etwas erreichen.
Frage Dich ganz ehrlich, welche Welt Du Deinen/unseren Kindern hinterlassen möchtest! Ich weiß genau, welche ich mir da wünsche … Deshalb ein JA für Yoga mit Kindern, denn hier findet so vielfältiges Lernen und Erleben statt.
Ich bin prinzipiell schon der Meinung, dass Kinder die positive Wirkung von Yoga erfahren können. Auch wenn darauf geachtet werden sollte, dass übermäßige Kraftanstrengung und extreme Dehnübungen vermieden werden, weil der Körper noch im Wachstum ist. Aber solange es den Kindern Spaß macht – warum nicht?
Dein Artikel schneidet allerdings viel tiefergehende Probleme der Gesellschaft an. Ein sehr ehrlicher und ungeschönter Beitrag. Gefällt mir wirklich sehr gut und ich finde mich in vielen Teilen wieder.
Danke für den Artikel.
Nur, ich muss nicht funktionieren. Wir (ob Eltern oder nicht) sollen es. Und „dank“ Sozialisation/Erziehung wollen wir es oftmals auch, ohne dies und die prägenden Umstände zu reflektieren. Das hat System bzw. ist System. Es ist pathologisch.
Yoga, für Erwachsene wie Kinder, als Teil einer Work-Life-Balance (ich würde sagen Work-Life-Bullshit), als Ausgleich einer scheinbar rollengeprägten (hier der harte Geschäftsmann, der gute Miene zum bösen Spiel macht, da der liebende Vater, der mitfühlt; hier das Kind, das sich den systemischen Anforderungen anpasst bzw. anpassen muss, da das Kind, das sich spielerisch selbst entdecken kann), funktional differenzierten Gesellschaft…das Yoga also als Mittel, um noch und immer mehr funktionieren zu können (Google & Co. lassen grüßen), damit der Rubel fortwährend rollt (mit vorprogrammierten Krisen…und Kindern). Nein, Yoga kann mehr, wenn es sich gegen das MÜSSEN stellt, wenn es mir bewusst macht, dass ich NICHT FUNKTIONIEREN muss und dass ich WIDERSTÄNDIG sein kann. Dass ich auch dann bei mir und meinen Bedürfnissen bleiben kann, wenn Andere Dinge von mir verlagen, die ich nicht gutheiße (Reflexion vorausgesetzt, also nicht plump moralisierend). Dann ist Yoga nicht bloßer Ausgleich für das „Falsche“ (wenn ich denn so empfinde, worauf „funktionieren müssen“ eben hinweist), ein Teil meines falschen Bewusstsein. Dann ist Yoga eine grundsätzliche Einstellung, Theorie uund Praxis in einem. Am Ende muss, soll und darf jeder Mensch selbst entscheiden. Aber zumindest die theoretische Möglichkeit sollte man jeder und jedem mitgeben.
Und ich denke, das machen Sie.
Du sprichst mir sus der Seele…
Die Rahmenbedingungen in Kitas sind sehr bedenklich… Wo vor einigen Jahren nach Bildung und Qualität gestrebt wurde, wird heute von der Politik eine Massenhaltung gepflegt…
Bis zu 28 Kinder Mit einer Tagesbetreuung von 35-45 Std.die Woche …das kann nicht gesund sein!!!
Die vielen kleinen Menschen mit ihren Bedürfnissen bleiben auf det Strecke… Es ist nicht zu leisten und noch mehr Personal in einer Gruppe macht die Massenhaltung nicht besser….
Kleinere Gruppen für Bedürfnis orientiertes Arbeiten für die Erzieher wäre eine gute Losung….
Yoga für Kinder unbedingt…. Eigentlich für alles Menschen …Liebe und Empathie spühren ….für eine bessere Welt.
LG Jasmin
Erzieherin/Tanzpädagogin und KinderYogaLehrerin
Danke für Deine Zeilen, liebe Jasmin. Wie schön, dass Du den kleinen Menschen so viel mitgibst!