Das Yoga-Sutra – eine Zusammenstellung von 196 Versen, die auf den Weisen Patanjali zurückgehen – bietet einen Fundus an Weisheiten. Obwohl das Sutra vermutlich vor mehr als 2.000 Jahren verfasst wurde, lassen sich die Erkenntnisse und Ratschläge wunderbar auf unsere heutige Lebenssituation übertragen. Unsere körperlich-geistigen Irrungen und Wirrungen sind also gar nicht so neu – nur eben der Kontext, in denen sie sich Bahn brechen.
Unter den sogenannten Niyamas, die den Umgang mit sich selbst meinen, findet sich der Aspekt Sauca, die Reinigung. Dieser betrifft sowohl die physische als auch die mentale Ebene.
Ich möchte hier keinen Abriss über Sauca geben. Das wird zu Genüge in hervorragenden Büchern behandelt.
Einen kleinen Überblick über die Yamas (Umgang mit anderen) und Niyamas gibt es auch auf Happy Mind Magazine.
Die Schrecken unseres Wohnens
Was mich umtreibt, sind Gedanken zu unserer Wohnatmosphäre, die ich in unmittelbarem Zusammenhang zum Aspekt des Sauca sehe.
Kennst Du diese Situation? Jemand steht unangekündigt vor Deiner Tür, um Dir etwas vorbeizubringen (worst-case-Szenario). Oder jemand möchte Dich kurzfristig besuchen (halbes worst-case-Szenario). Oder Du weißt, am kommenden Wochenende bekommst Du Besuch (nicht ganz so wild).
Beim worst-case-Szenario bekommst Du Schnappatmung, weil Deine Wohnung absolut nicht präsentabel ist. Auch das halbe worst-case-Szenario lässt Deinen Blutdruck in die Höhe schnellen, weil Du gar nicht weißt, wo Du mit dem Aufräumen anfangen sollst.
Klar ist wohl: Niemand hat gern Besuch, wenn die dreckige Wäsche rumfliegt, sich das Geschirr in der Spüle stapelt oder dem Waschbecken anzusehen ist, dass es vor vier Wochen das letzte Mal in Kontakt mit einem Putzlappen kam.
Was tun?
Gern räumen wir bei anstehendem Besuch ratzfatz das Nötigste beiseite, stopfen Herumliegendes in den Schrank (räumen wir natürlich später richtig auf …) und wischen die gröbsten Krümmel und Flecken vom Boden. Schließlich wollen wir A (ehrlich: Ich glaube, das ist der erste Grund!) einen guten Eindruck machen und B, dass sich unser Gast willkommen fühlt.
Es ist wohl offensichtlich, dass ich hier etwas übertreibe. Jeder von uns hat ein anderes Verständnis von Ordnung und Sauberkeit. Und je nach Charakter und Einstellung variiert natürlich auch der Aufräumdruck bei anstehendem Besuch. Manch einem mag es sogar egal sein.
Allerdings ist auch unsere Wohnung ein Spiegel unseres Inneren. Herrscht dort Chaos, ist davon auszugehen, dass auch der Geist ziemlich durcheinander ist.
Laut dem Yoga-Sutra brauchen wir nur reinigen, was unseren Körper oder Geist stört bzw. schädigt. Eine unaufgeräumte Wohnung schädigt vielleicht unseren guten Ruf, aber in erster Linie dürfte sie störend sein – je nach persönlicher Einstellung eben.
Warum „nur“ für Gäste aufräumen?
Wie groß auch immer der Stress vor einem Besuch ist – ich frage mich: Warum fühlen wir uns dermaßen zum Aufräumen und Putzen angetrieben, wenn ein Gast (egal, wie nah uns dieser Besucher nun steht) unsere Wohnräume betritt? Warum muss es überhaupt erst soweit kommen?
Und noch wichtiger:
Warum ist ein Gast es Dir wert, Deine Wohnung hübsch zu machen, aber DU bist es Dir nicht wert?!
Natürlich können und wollen wir nicht ständig putzen und aufräumen. Es kommt der Moment, in dem wir merken, jetzt wäre es mal wieder an der Zeit – oder wir haben feste Zeiten für die Haushaltsarbeit.
Aber wie wohltuend ist es doch, wenn:
- uns morgens eine saubere Küche empfängt.
- der Müll nicht erst stinken muss, bevor er in die Tonne wandert.
- wir wissen, wo was auf dem Schreibtisch liegt.
- wir zentrale Orte für wichtige Gegenstände wie Schlüssel oder Geldbörse haben.
- der Staubsauger zum Einsatz kommen darf, bevor die Staubmäuse Ballett tanzen.
- wir einen Blumenstrauß nur für uns hinstellen.
- uns nach Feierabend eine aufgeräumte Wohnung begrüßt.
- …
Möglicherweise betrifft Dich dieses Thema überhaupt nicht, vielleicht ist es Dir auch egal. Aber falls Du Dich angesprochen fühlen solltest und etwas Sauca in Deine Wohnung bringen möchtest, schlage ich Dir Folgendes vor:
- Nicht zwischenlagern, heißt die Devise!
Alles, was Du ohnehin schon in der Hand hast, kannst Du auch gleich an den richtigen Ort legen (sofern es einen für diesen Gegenstand definierten Ort gibt). Z. B. geöffnete Post: Einen wichtigen Infobrief kannst Du direkt im entsprechenden Ordner abheften, eine zu bezahlende Rechnung kommt auf den To Do-Stapel für den nächsten Tag und Werbung wandert sofort in die Papiertonne. Oder wenn Du Deine Tasche ausräumst: Bring jedes Teil direkt an seinen Platz. - Nicht auf den Dreck warten!
Du kannst mit dem Putzen warten, bis Du über den Dreck stolperst. Oder Du nimmst Dir feste Zeiten für die Hausarbeit: Das kann an einem Tag alles auf einmal sein oder einzelne Bereiche in verschiedenen Zeitfenstern. - 10 Minuten pro Tag!
Nimm Dir 10 Minuten täglich fürs Aufräumen und / oder Ausmisten. Die sind immer drin. - Sei immer vorbereitet!
Halte Deine Wohnung jederzeit in einem Zustand, in dem Du einen unangekündigten Gast ohne schlechtes Gewissen empfangen kannst – und Du selbst sehr gern nach Hause kommst.
Die täglichen 10 Minuten bearbeite ich zurzeit relativ konsequent. Ich bin selbst gespannt, wie sich das tägliche Mini-Ausmisten auf meinen Geist und meine persönliche Wohn-Wohlfühl-Atmosphäre auswirken wird!
Ich war über eine sehr lange Zeit der Typ mit dem worst-case-Szenario.
Erst als ich anfing auszumisten – zu entrümpeln – zu renovieren und einen mehr und mehr minimalistischen Lebensstil lebte, war ich auch in der Lage Besuch rein zu lassen, der sich nicht mindestens eine Woche vorher angekündigt hat. Klar, man fühlt sich sehr viel wohler, wenn alles in Ordnung und sauber ist – aber der Alltag zehrt einen oft so aus, dass eben nur das allernötigste gemacht wird um noch unfallfrei durch die Wohnung zu kommen… Na ja, das ist jedenfalls jetzt schon viel besser geworden.
Bemerkenswert in diesem schönen Beitrag hier fand ich den Satz:
„Warum ist ein Gast es Dir wert, Deine Wohnung hübsch zu machen, aber DU bist es Dir nicht wert?!“
So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Da steckt seht viel Wahrheit drin. Wie muss es wohl um meine Selbstliebe stehen, wenn ich nicht mal 10 – 20 Minuten täglich dafür investieren kann, das tolle Gefühl einer aufgeräumten Wohnung dauerhaft zu übernehmen.
Danke für diesen Hinweis 🙂
Gruß Klaus
Vielen Dank für Deine Worte, lieber Klaus. Du hast total Recht mit dem Alltag. Wir sind ja ständig am Tun und sind davon manchmal so erschöpft, dass die Wohnung gern mal auf der Strecke bleibt. Nach einer umfassenden Entrümpelungsaktion wird es schon leichter – aber auch die braucht Zeit. Dein Stichwort Selbstliebe passt hier sehr gut 🙂 Alles Liebe, Silke