Übergänge in den Yoga-Asanas: ohne Schwung

„Schwung ist böse“ – Diese Aussage mancher Yogalehrer kann uns einholen, wenn wir uns gerade selbst dabei erwischen, wie wir ein Bein mit Schwung nach vorne in den tiefen Ausfallschritt bringen, den sogenannten Sprinter.

Aber was ist am Schwung so schlimm?

Der Nutzen von Schwung in verschiedenen Sportarten

In vielen Sportarten ist Schwung eine essenzielle Bewegungskomponente, wie bei den Ballsportarten oder in der Leichtathletik. Als Schwung oder Momentum bezeichnet man den Impuls, mit dem ein Objekt in Bewegung gesetzt wird und sich dann so lange fortbewegt, wie es nicht abgebremst oder gestoppt wird. Bei einem Golfball bestimmt beispielsweise der aus einem optimalen Bewegungsablauf resultierende Schwung und der passende Winkel, wie viel Energie beim Aufprall durch das Eisen auf den Ball übertragen wird und wie weit dieser anschließend in Richtung Grün fliegt.

Das Ziel von Schwung ist Beschleunigung, am besten möglichst viel davon.

Schwung im Yoga?

Im Yoga ist es anders. Hier ist das Ende einer Bewegung eine statische Position, die Asana. Statt der Bewegungsdynamik ist hier eine präzise Endposition gewünscht. Mit Schwung ist das kaum zu erreichen, weil wir damit übers Ziel hinausschießen. Denken wir daran, dass der Golfball ausrollen und nicht sofort auf dem Grün liegen bleiben wird (es sei denn, wir treffen direkt ins Loch). Schwung Yoga-AsanaBetrachten wir ein Beispiel aus der Yogapraxis: vom herabschauenden Hund zum Sprinter.

Wenn jemand in der Praxis das Spielbein mit Schwung nach vorne bringt, touchiert die Ferse hörbar den Boden, weil der Fuß mit Schwung eher von hinten nach vorne geworfen als von oben nach unten kontrolliert abgesetzt wird. Zudem wird derjenige in der Endposition wahrscheinlich mit dem Oberkörper auf dem Oberschenkel liegen, weil die Hüfte nach unten sackt, sobald ein Bein angehoben und das Gewicht nur noch von zwei Händen und einem Fuß getragen wird. Obendrein zieht der Hüftbeuger über die Lendenwirbelsäule am Becken und verstärkt so die Tendenz, in der Hüfte einzusacken.

Das Resultat ist ein Sprinter ohne Bewusstsein und Vortriebspotenzial. Das ist uns allen schon passiert, zumindest zu Beginn unserer Yogapraxis. Der Sprinter in seiner originären Idee braucht Körperspannung, um sich explosionsartig aus dem Startblock katapultieren zu können. Sonst ist das Rennen schon beim Start verloren – also was tun?

Aufbau einer Asana

Wenn wir vom Aufbau einer Asana sprechen, sind damit auch die Zwischenschritte beim Übergang von einer Ausgangsposition in eine Asana gemeint. Anatomisch gesehen geht es um die Änderung von Gelenkstellungen und zwar in der richtigen Reihenfolge. Der Schwung verkürzt die Dauer dieses Übergangs und übergeht dabei die Zwischenschritte, die aber für die Tragfähigkeit des Gerüsts entscheidend sind. Es fehlt dann die stabilisierende Basis für die Asana, worunter letztlich auch der Ausdruck leidet.

Um dieses Versäumnis wieder gut zu machen, justieren wir die Position bis sie stimmig ist, was im Yoga als Adjust bezeichnet wird. Dabei versuchen wir meist nachträglich das besagte Gerüst aufzubauen und stellen fest, dass dies in der Endposition kaum möglich ist. So müssen wir oft ein paar Schritte zurückgehen und die Asana neu aufbauen. Dann ist alles dahin, was wir uns vorher mit dem Schwung „erkauft“ haben. Pfau Yoga Schwung und Adjustment

Interessanterweise reduziert sich der Adjustmentbedarf, wenn wir auf den Schwung verzichten und uns stattdessen langsam, achtsam und aus der Körperspannung heraus bewegen. Wie gesagt, Schwung beschleunigt den Übergang, während eine achtsam begleitete Abfolge von Bewegungen länger dauert und dadurch auch muskulär länger fordert. Die Praxis wird anspruchsvoller und anstrengender, aber auch der Trainingseffekt ist größer, sodass sich die betroffene Muskulatur mit der Zeit kräftigen und uns die Übung langfristig leichter fallen wird.

Aus meiner persönlichen Beobachtung muss ich als Yogalehrer weniger adjusten, wenn die Teilnehmer ohne Schwung üben. Dadurch kann ich die Asanas im Vinyasa fließender ineinander übergehen lassen, was den Teilnehmern die Chance auf ein schönes Flow-Erlebnis bei gleichzeitigem Workout gibt. Momentum bekommt dann eine andere Bedeutung, nämlich als fließender Übergang, von Asana zu Asana, als wären diese einzelne Buchstaben in einem geschwungenem Schriftzug.

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