Im Yoga fällt häufig der Begriff Grenzen im Sinne von „Achte auf Deine Grenzen“ oder „Verschiebe Deine Grenze sanft und achtsam.“
Doch was hat es überhaupt mit diesen Grenzen auf sich?
Es geht prinzipiell darum, sich zu fordern, aber nicht zu überfordern. Und es geht darum, den persönlichen Rahmen von physisch-anatomischen Voraussetzungen, Mustern im Geist, Ehrgeiz und Ähnlichem abzustecken, um das ganz eigene Entwicklungstempo zuzulassen und Verletzungen zu vermeiden.
Für mich stecken aus persönlicher Erfahrung folgende Aspekte hinter den Grenzen im Geist:
Energetische Tagesform
Es gibt diese Tage oder Tagesabschnitte, an denen ich mich auf der Matte energetisch leer fühle. Da hilft auch alles Atmen nichts. Ich spüre zwar, dass da irgendwo Muskelkraft schlummert, aber ich komme nicht richtig an sie ran.
Dynamische Sequenzen, die mir sonst leicht fallen, fühlen sich an wie die Besteigung eines Tausender. Meine eingeschränkte Energie gibt die „Grenze“ meiner Leistung vor. Und Erzwingen soll ja auch nicht sein. Ehrlicher und „grenzWERTig“ ist es in solchen Momenten, sanft zu praktizieren, vielleicht mit vielen Dehnungen und Pranayama. Das habe ich erst lernen müssen.
Umgekehrt kann es vorkommen, dass ich mich energielos in eine Klasse schleppe und auf der Matte spüre, wie die Energie zurückkehrt. Das sind großartige Momente! Außerdem ist es ein klassischer Fall von natürlicher „Grenzverschiebung“, denn die Grenze wird durch die Praxis flexibler.
Muster im Geist
Diese Muster können auf vielfältige Arten entstehen und sich zeigen:
- Sozialisation
Wie wir aufwachsen und erzogen werden, bestimmt (unbewusst) unseren Geist und gewisse Einstellungen. Das zeigt sich beispielsweise in dem, was Du Dir selbst zutraust (oder eben nicht), für wie fähig oder unfähig Du Dich hältst oder wie sehr Du Dich an vermeintlich Unerreichbares heranwagst. Vielleicht kennst Du diese still ausgesprochenen Sätze wie „Dafür bin ich zu blöd.“ oder „Das schaffe ich nie“. Sie engen ein und begrenzen. Mut und Motivation klingen anders. - Vergleiche
Im Yoga haben Vergleiche mit der Mattennachbarin oder dem Mattennachbarn nichts verloren. Aber wem passiert es nicht mitunter? Die Nachbarin kann in der Vorbeuge ihre Füße küssen? Der Nachbar auf der anderen Seite kommt nonchalant in den Schweizer Handstand?
Das sind natürlich übertriebene Beispiele. Doch warum um Himmels willen sollte ich das genauso können wie die wunderbare Frau neben mir auf der Matte? Mir fällt keine plausible Erklärung ein. Denn sie hat ihren Körper, ihren Geist, ihre physischen Voraussetzungen, ihre Praxis, ggf. ihren Ehrgeiz und was auch immer – jedenfalls gehört das alles zu ihr. Ich wiederum habe meine eigenen Vorkenntnisse, Bedingungen, Fähigkeiten etc. Ich praktiziere Yoga, weil es mir gut tut. Und Vergleichen tut in diesem Fall selten gut. Es baut Druck und Frust auf, den wir im Yoga eigentlich abbauen wollen. - Angst
Die Angst kriecht zu allen unmöglichen Gelegenheiten aus ihrem Unterschlupf und kann lähmen. Da ist die Angst vor unbekannten Bewegungsformen, die Angst vor noch nie ausgeführten Kraftakten, die Angst sich zu blamieren, die Angst umzufallen, die Angst sich zu verletzen … Was können wir Angst haben!
Von den Grenzen zu den Möglichkeiten
Im Wort Grenze schwingt etwas Negatives mit. Es vermittelt dem Geist, dass es hier zu Ende ist, kaum Überwindung gibt bzw. erst eine außergewöhnliche bis gar unerreichbare Leistung erbracht werden muss, um sie zu überwinden. Hinter der Grenze wartet etwas Anderes, Neues, Unbekanntes, wahrscheinlich aber etwas Wundervolles. Vor diesem wundervoll Neuem liegt die Grenze, die Dich behindert, aufhält und Dir suggeriert, Du könntest nicht viel weiter.
Wie wäre es also stattdessen, von Möglichkeiten zu sprechen?
Wenn ich meinen Geist mit dem Wort Möglichkeiten konfrontiere, öffnen sich neue Tore.
Eine Grenze macht eher dicht, Möglichkeiten öffnen stärker Optionen. Sie laden ein, sich auszuprobieren und zu spüren, was wirklich geht – abseits von anatomischen Gegebenheiten, die eine natürliche „Grenze“ darstellen.
Auch Möglichkeiten haben in sich Begrenzungen. Diese wiederum sind Deine Schutzmechanismen, damit Du nur so weit gehst, wie es Deine individuelle Konstitution erlaubt. Am nächsten Tag oder in der kommenden Woche tun sich vielleicht weitere Möglichkeiten auf.
Wie kannst Du Mustern im Geist zu Leibe rücken?
Die Praxis auf der eigenen Matte ist großartig, keine Frage. Doch sie kann auch enormen Auftrieb bekommen, wenn sie in tatsächlichem Miteinander stattfindet. Wenn beispielsweise in einer Klasse die Spielwiese eröffnet wird. Das ist die Phase, in der man sich wie ein Kind ausprobieren darf. Nach entsprechender Vorbereitung und mit gegenseitiger Hilfestellung und Motivation kann mit Rad, Handstand, Skorpion oder anderen Asanas, die nicht unbedingt zur täglichen Praxis zählen, experimentiert werden. Vielleicht hast Du das schon einmal erlebt und gespürt, wie die Stimmung im Raum auftaut und die Teilnehmer fröhlich-unbeschwert wie Kinder ans Ausprobieren gehen?
Diese Praxis in der Gemeinschaft kann festgefahrenen Mustern im Geist zu Leibe rücken, sodass die Spinnweben im Geist ihre Hartnäckigkeit verlieren. Grundsätzlich kann schon ein kleines bisschen Mut, das Dich aus der Komfortzone bugsiert, lebendig machen.
(Beitragsbild: ©Michael Podger, unsplash.com)
klasse, genau so! auf zum ausprobieren und kennenlernen von mustern, grenzen und Möglichkeiten 🙂 das hast du sehr schön refraimed 🙂
herzlichen gruss!
Sabine
Vielen Dank, liebe Sabine! Dann testen wir uns einfach mal weiter aus 🙂