Bewusste Atmung und Atemtechniken sind nicht nur essentielle Übungen im Yoga, sondern auch gängige Praxis in Kampfkunst und Sport.
Dabei haben Atemübungen eine mentale und eine physiologische Komponente.
Mentale und physiologische Kompontenten
Die mentale Komponente fördert mit der Konzentration auf den Atemfluss das Körperbewusstsein und bringt wie ein innerer Taktgeber den Geist zur Ruhe. Bewusstes Atmen ist Meditation.
Die physiologische Komponente ist in der Praxis tatsächlich essentiell, denn sie unterstützt bzw. ermöglicht überhaupt die Ausübung von Sportarten wie zum Beispiel Kampfkunst, Sport- und Bogenschießen oder Freitauchen (Apnoetauchen von Apnoe, griechisch: „Nicht-Atmung“).
So ist das Apnoetauchen ohne verfeinerte Atemtechnik kaum denkbar – jedenfalls nicht bei den Leistungen, die von den Profis in diesem Sport erzielt werden. Intensives Atemtraining bis hin zur Veränderung von Lungenvolumen und Herzfrequenz ist erforderlich, wenn beispielsweise der Weltrekordler William Trubridge mit einem einzigen Atemzug in eine Tiefe von 101 Meter abtaucht und dabei länger als vier Minuten die Luft anhält.
Die Lunge wird bei diesen Tauchtiefen aufgrund des hohen Wasserdrucks extrem komprimiert und muss sich beim Auftauchen wieder auf ihre normale Größe ausdehnen.
Um solche Vorgänge ohne Blackout zu überstehen, braucht es genaue Kenntnisse der physiologischen Vorgänge und jahrelanges Training.
Pranayama für Taucher
Dazu nutzen Freitaucher auch Techniken, die im Yoga als Pranayama bekannt sind, wie u. a. Kapalabhati (Feueratmung) und Bhastrika (Blasebalgatmung), die als intensiviertes Kapalabhati betrachtet werden kann.
Allerdings warnt z. B. der Rekordtaucher und Yogi Federico Mana in seinem Buch „Breathing techniques for freediver“ ausdrücklich davor, Kapalabhati unmittelbar vor einem Tauchgang zu praktizieren. Er rät sogar zu einem möglichst großen zeitlichen Abstand bzw. dazu, diese Technik nur beim Trockentraining zu üben.
Was passiert bei Kapalabhati?
Kapalabhati soll so viele positive Effekte auf den Körper haben, wie eine verbesserte Sauerstoffversorgung, die Abatmung von Kohlenstoffdioxid (CO2) und Schlacke und ein ins basische verschobene pH-Wert des Blutes.
Da müsste insbesondere der erhöhte Sauerstoffanteil ideal sein für einen Tauchgang. Mit viel Sauerstoff (O2) kann man lange die Luft anhalten und tief tauchen – sollte man meinen?
Im Prinzip schon, aber ob sich die Sauerstoffsättigung des Blutes (sO2) durch Hyperventilation – und nichts anderes ist Kapalabhati – tatsächlich verbessert, ist umstritten.
Ausgehend von einer typischen Sättigung von 97 Prozent bei einem gesunden Erwachsenen, ist es schwierig, diese ausschließlich durch eine intensivierte Ausatmung zu erhöhen.
Die Sauerstoffsättigung, also wie viel des Hämoglobins mit Sauerstoff beladen ist, ist zwar vom Sauerstoffpartialdruck abhängig und der erhöht sich theoretisch bei besserer Durchlüftung der Lunge, die Sauerstoffsättigung verläuft aber nicht linear.
Was beim Kapalabhati tatsächlich sinkt, ist der CO2-Anteil im Blut, das Kohlenstoffdioxid. Das kann fatale Folgen haben, denn der Atemreflex ist genau an diesen Anteil gekoppelt. Wird der CO2-Anteil künstlich reduziert, melden die Chemorezeptoren in der Nähe des Atemzentrums einen erneuten Anstieg des CO2 über den Schwellenwert möglicherweise erst dann, wenn der Sauerstoffanteil inzwischen schon unter einen kritischen Wert gefallen ist. Der Atemreflex erfolgt zu spät und das Gehirn ist unterversorgt. Es kommt zum Blackout. Der Taucher wird ohnmächtig. Sobald er das Bewusstsein wieder erlangt, setzt ein sofortiger Atemreflex ein. Fatal, wenn das ohne fremde Hilfe unter Wasser passiert. So sind einige Tauchrekordversuche schon tödlich verlaufen (Schwimmbad-Blackout).
Wenn Dir beim Üben von Kapalabhati schwindelig wird, ist das wie ein Vorbote des Blackouts. Das Gehirn gerät aufgrund der Verschiebung des O2/CO2 Verhältnisses in eine O2-Unterversorgung, weil sich – in der irrigen Annahme die niedrige CO2–Konzentration ginge mit einer hohen O2–Konzentration einher – die Blutgefäße eng stellen und sich das Gehirn damit selbst den Sauerstoff „abdreht“.
Zudem ist es so, dass der Gasaustausch in der Lunge eine gewisse Zeit benötigt. Wenn Du die Atemfrequenz beim Kapalabhati auf mehr als etwa 60 Atemzüge/Minute (Einatmung und Ausatmung) erhöhst – entsprechend der nicht ungewöhnlichen Anweisung einen Atemzug pro Sekunde zu machen – beträgt die Verweildauer Deiner Luft in der Lunge nur noch etwa 0,5 Sekunden. Das ist zu kurz, um die Bindungsstellen des Hämoglobins mit Sauerstoff zu bestücken.
Du atmest schneller und kommst doch in eine Sauerstoffunterversorgung. Die Leistung sinkt und der Energiestoffwechsel kippt in den anaeroben Bereich – Dein Körper gerät in Stress. Genau das wollen wir im Yoga nicht.
Ist es sinnvoll, den Körper mit solchen Techniken in Schieflage zu bringen?
Es heißt, Kapalabhati mache das Blut basisch, weil vermehrt Kohlendioxid und damit auch die im Blut gelöste Kohlensäure abgeatmet wird. Aufgrund der fehlenden Säure steigt der pH-Wert. Das Blut wird basischer, zumindest für kurze Zeit. Ist das ein positiver Effekt? Warum versucht der Körper dann nicht, diesen Zustand zu bewahren? Das Atemzentrum könnte dem Zwerchfell doch einfach immer einen etwas schnelleren Takt vorgeben und wir wären immer schön basisch.
Stattdessen reagiert der Körper gestresst auf die Abweichung vom Sollwert (pH 7,38-7,42) und bringt das Blut mit Hilfe seines Puffersystems wieder ins Säure-Basengleichgewicht (letztlich, indem er die Atemfrequenz wieder reduziert, bis sich wieder genügend CO2 angesammelt hat). Eben genau das Milieu, in dem der Körper ideal funktioniert. Das bezieht sich vor allem auch auf die optimalen Fließeigenschaften des Blutes.
Bleibt noch das Abatmen von Schlacke, die wir mit Kapalabhati loswerden wollen. Schlacke ist aber kein Gas. Außer beim Rauchen werden wir im Ausatmen kaum Schlackepartikel finden. Wie funktioniert das also mit dem Abatmen der Schlacke? Sie wird nicht wirklich abgeatmet, aber die intensivierten Bewegungen der inneren Organe beim Kapalabhati regen den Lymphkreislauf an. Darin wird tatsächlich die Schlacke in Richtung der Ausscheidungsorgane transportiert. Das ist also eine indirekte Wirkung.
Wenn die als positiv benannten Effekte nicht wie gewünscht eintreten, was bleibt dann vom Kapalabhati übrig?
Ähnlich wie bei der Anregung der Lymphe, sorgt die Bewegung von Bauchmuskeln und Zwerchfell für eine leichte Massage der Bauchorgane, was die Verdauung fördern kann.
Denkbar ist auch, dass die Beanspruchung der Atemmuskulatur einen gewissen Trainingseffekt hat. Das würde m. E. aber voraussetzen, dass der/die Praktizierende hier ein gewisses Defizit hat, was sich auch in einer geringeren Sauerstoffsättigung zeigen müsste. Wer ansonsten wenig oder gar keinen Sport treibt und meist sitzend tätig ist, atmet wahrscheinlich eher flach und überwiegend in den Brustkorb.
Bei diesem Atemmuster bewegt sich der Bauchraum kaum. Die Bauchatmung ist unterentwickelt. Hier kann Kapalabhati das Bewusstsein für die Atmung und insbesondere die Bauchatmung fördern. Durch die Beteiligung des Bauchraums bei betonter Ausatmung kann mehr vom Reservevolumen ausgeatmet werden, sodass sich – für die Zeit der Übung – das Atemzugvolumen erhöht. Das sorgt für eine bessere Durchmischung der Restluft und somit für einen höheren Sauerstoffanteil in der Lunge.
Alternative Atmung
Diesen Effekt kannst Du sogar ohne Kapalabhati erzielen. Nämlich mit ein paar tiefen und ruhigen Atemzügen, mit großem Atemzugvolumen und weitgehender Entleerung der Lunge bei der Ausatmung.
Es ist nämlich so: Wenn Du sehr intensiv atmest, verbraucht die Atemmuskulatur auch viel Energie und damit Sauerstoff. Das kann den positiven Effekt wieder aufbrauchen oder sogar überkompensieren.
So habe ich gewöhnlich im Sitzen eine Sauerstoffsättigung von 99 Prozent bei einem Puls von rund 55 Schlägen/Minute. Übe ich nun einen Durchgang Kapalabhati, so verbessert sich meine Sauerstoffsättigung nicht, wenn überhaupt sinkt sie zwischenzeitlich auf 98 Prozent. Dafür steigt aber mein Puls auf über 70 Schläge/Minute an.
Ist das verwunderlich? Nein. Schließlich wird Kapalabhati auch als Feueratmung bezeichnet. Es ist eine anregende Atemübung. Sie aktiviert den Sympathikus, macht wach und erhöht den Puls. Das ist eben auch der Grund, warum sie als Vorbereitung unmittelbar vor einem Tauchgang nicht geeignet ist.
(Photocredit Beitragsbild: https://unsplash.com/@soffes)
Danke für deinen Beitrag Chris. Spricht nun etwas dafür oder vor allem dagegen kapalabhati mit Yoga Schülern zu praktizieren?
Und was passiert in der Atem Haltephase?
Ist es demnach ratsam Schülern die bei kapalabhati zu Schwindel neigen von dieser atempraxis abzuraten? Oder lediglich langsam zu praktizieren? Danke für deine Rückmeldung.
Hi Stina,
um die zweite Frage zuerst zu beantworten:
Meinst Du die Haltephase nach dem Ende einer Serie?
Da ist das CO2 Level niedrig und das O2 möglicherweise auch (durch die Anstrengung). In der Folge braucht der Körper O2, bekommt aber keinen, weil der Atem angehalten wird. Da der CO2 Rezeptor bei diesem niedrigen Level nicht reagiert, gibt es keinen Atemreflex und man gerät noch mehr ins Defizit. Der dann auftretende Schwindel ist ein Warnsignal des Körpers. Das hat m. E. nichts Positives. Insofern würde ich hier auch nicht von einer Neigung sprechen. Gerade die Angabe einer Zahl von Wiederholungen kann in unserer schneller-höher-weiter Gesellschaft dazu führen, dass die Teilnehmer dann diese Zahl erreichen wollen. Dabei gibt es nichts zu gewinnen.
Zu den anderen Fragen:
Wenn Du Kapalabhati unterrichten möchtest, würde ich eine moderate Form wählen. Eine die nicht den CO2 Effekt in den Vordergrund stellt, sondern die anderen Aspekte. Die reinigende Wirkung für die Nase und die Bauchmassage etwa. Die spürt man auch bei nur wenigen Wiederholungen. Von Kapalabhati abzuraten ist m. E. bei Schwangeren und während der Menstruation.
Viele Grüße, Chris