Yoga und Sensibilität: Verändert die Praxis?

Yoga und Sensibilität in ihrer Verbindung beschäftigen mich schon lange. Ich spreche hier bewusst nicht von Hochsensibilität. Das Thema zählt zu jenen, die ihre Reifezeit benötigen und deren zugehörigen Worte alles andere als leicht aus meinem Geist schwappen.

Mir war klar, dass ich gern mit erfahrenen und sensiblen Yogalehrern über diese Thematik sprechen möchte. Ich hatte das Glück, mich per Skype mit zwei wundervollen Frauen unterhalten zu dürfen: Surya (Maud) Drogi und Christina Valeska, die „YoginiZeit“ ins Leben gerufen haben.

Ihnen habe ich wertvolle Impulse zu verdanken. Ich freue mich, den Artikel mit einigen Zitaten aus dem Gespräch bereichern zu können.

Einheit von Körper, Geist und Seele

Unser Körper ist ein derart ausgeklügeltes System, das mich immer wieder aufs Neue fasziniert. Es ist unbeschreiblich clever, was auf all den physischen, mentalen und emotionalen Ebenen abläuft! Max Strom beschreibt das diffizile Konstrukt sehr anschaulich im Interview.

Schmerzen im Rücken haben häufig psychische Ursachen. Kopfschmerzen können mit Nackenverspannungen zusammenhängen, die wiederum eine Antwort auf Dauerstress sein können. Permanentes Kreisen um Sorgen im Geist kann sich im Magen manifestieren. Ein gebrochenes Herz kann tatsächlich zu Herzbeschwerden führen.

Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen. Was ich damit sagen will: Körper, Geist und Seele hängen miteinander zusammen. Du kannst Schmerzen vorübergehend mit Chemie eindämpfen. Um dauerhaft etwas zu verbessern, musst Du Dir jedoch den Kontext anschauen und Dich behutsam der Ursache nähern.

Vielleicht liegt Yoga deshalb im „Dauertrend“? Yoga meint die Einheit von Körper, Geist und Seele. Der Atem schlägt die Brücke. Bei regelmäßiger Praxis kommst Du nicht umhin, ein feineres Gespür für die Zusammenhänge zu entwickeln.

Pusteblume
© unsplash.com

Gefühle

Das ist für mich das Geheimnis hinter den wunderbaren Gefühlen, die Yoga nach sich zieht. Erst in Verbundenheit mit allen Bereichen, die zu meinem Körper gehören – ob physisch, mental oder emotional – fühle ich mich ganz und bei mir selbst angekommen. Das bedeutet nicht, dass Yoga zu reiner Freude und umfassendem Frieden führt. Wenn sich Blockaden lösen, kann sich das erst einmal richtig fies anfühlen. Aber dann …!

„Es ist gut, wenn das Fühlen und Spüren mehr wird. Es wird immer mehr, desto tiefer man geht, desto mehr man erwacht.“ (Christina)

Dieses Gefühl der „Selbst-Verbundenheit“ stärkt mit der Zeit auch die Wahrnehmungsfähigkeit. Denn Yoga mit all seinen Facetten wie Asana, Pranayama oder Meditation schärft das Bewusstsein – sich selbst und der Umwelt gegenüber.

Intensive Wahrnehmungsfähigkeit

Hast Du nach einer gewissen Zeit regelmäßiger Yogapraxis schon mal festgestellt, dass Du sensibler reagierst und Zwischenmenschliches oder Situationen feiner wahrnimmst?

Meine Antennen fühlen sich manchmal so fein an, dass ich gern mal aus Situationen flüchten möchte – z. B. wenn ich in Menschenmassen zu nah an anderen Menschen dran bin, die Musik zu laut ist, wenn jemand in meinem Umfeld große Sorgen hat oder wenn ich in einen Konflikt involviert bin. Die Beispiele sind vielfältig. Doch inzwischen schätze ich diese Sensibilität und betrachte sie als Gewinn der Lebensqualität. Es ist wie so häufig die Frage des Umgangs damit.

Holger vom UNIT Wiesbaden hat kürzlich ein einprägsames Bild geschaffen und Yoga mit einem Stöpsel verglichen, der den Abfluss von Wasser verhindert: Wenn der Stöpsel sitzt, liegt das Unterbewusstsein unter der Wasseroberfläche. Über dem Wasserspiegel befindet sich der wesentlich kleinere Anteil des Bewusstseins. Im Laufe der Praxis ist es als würden wir den Stöpsel lösen, sodass der Wasserspiegel sinkt und immer mehr vom Unterbewusstsein sichtbar wird (z. B. auch das, was uns die Nackenschmerzen beschert).

Der Mensch neigt dazu, sich an ein Leid zu gewöhnen, er richtet sich ein, er ignoriert und lebt sich in seinem „Schmerz-Kosmos“ ein. Wird die Wahrnehmungsfähigkeit feiner, kommen auch die Schmerzen an die Oberfläche. Das ist der ungemütliche Teil.

Silke Lebensflow
© Jacqueline Kulka / jKnOw photo design

Vielleicht versuchst Du erst einmal genauso zu funktionieren wie früher, aber das geht nicht. Wenn Du probierst, genau der gleiche Mensch zu bleiben, obwohl sich innerlich ein Wandel vollzogen hat, entsteht ein Konflikt. Ihn musst Du anpacken, bevor er krank macht. Loslassen ist hier ein passendes Stichwort.

„Wenn man versucht, noch genauso zu funktionieren wie früher, geht es nicht. Sensibilität kann mit Kraft verbunden werden. Dann ändert sich Dein ganzes Lebensgefühl.“ (Surya)

Umgang mit erhöhter Wahrnehmung

  • Einstellung
    Beunruhigt Dich die erhöhte Wahrnehmung, sodass Du dem Yoga lieber wieder den Rücken zuwendest und in Deinen alten Trott zurückkehrst? Oder möchtest Du Dich Deinem inneren Wachstum stellen und es zulassen?
  • Beobachtung
    Wie reagierst Du in Gesprächen, Situationen, Konflikten? Kannst Du Deinen Reaktionsweisen auf den Grund gehen?
  • Energiequellen
    Was sind Deine Energiequellen, die Dir Kraft geben und bei denen Du auftankst? Die Stille im Wald, das Auspowern beim Sport?
  • Verantwortung und Selbstliebe

    „Es geht darum, die Verantwortung für sich zu übernehmen, für die eigenen Bedürfnisse. Aber es ist nicht nur Verantwortung, es ist Selbstliebe. Ich würdige, ich honoriere, ich wertschätze, was da aufgeht – so wie eine Blume. Denn das bin ja Ich.“ (Surya)

  • Ehrlichkeit und Mut
    Wie weit kannst Du gehen, ohne Dir selbst zu schaden?

    „Wenn ich wirklich hinhöre, was ich brauche, dann braucht das auch erst mal ganz schön Mut – um zu sagen: Mir tut aber eigentlich das gut.“ (Surya)

  • Bewusstheit

    „Das Geschenk ist ja, dass ich das früher wahrnehme und besser auf mich achten kann. Dass ich besser wählen kann. Und natürlich eine mit wachsende Bewusstheit, um zu merken, was die Dinge mit einem machen. Was der Lärm mit einem macht. Was die Begegnung mit einer bestimmten Person mit einem machen. Auch zu lernen, wieder abzugeben. Nicht alles was wir spüren oder eigentlich nur ein Bruchteil von dem, was wir spüren, ist wirklich das Eigene, wenn wir in Begegnung mit anderen sind.“ (Christina)

Fazit

Eine feine Wahrnehmung für sich selbst und für andere zu haben, ist am Ende (auch) eine Frage der Einordnung. Viele von uns lernen von klein auf, dass es egoistisch ist, auf sich selbst zu achten. Wir sollen nicht so empfindlich sein. In Wahrheit ist eine feine Wahrnehmung ein Geschenk und es lohnt sich, den Umgang zu erlernen:

„Es ist etwas Positives, das in beide Richtungen geht: feiner für die Umwelt, feiner für mich. Es ist in beide Richtungen eine Gnade.“ (Christina)

12 Comments

  1. Brigitte said:

    Liebe Silke,
    da kann ich Dir nur zustimmen. Ich bin seit fast 3 Wochen in Bali und hab in meiner ersten Woche an gar keinem Yoga Unterricht teilgenommen. Viel zu warm und alles andere hatte Vorrang u d war immer noch Mega aufgeregt von der Faszination Bali. Doch eines Morgens ging ich zum Vinyasa und bereits in der anfänglichen Meditation fing ich an zu weinen. Seit dem Tag fahre ich mit meinen Emotionen hier Achterbahn. Es ist alles sehr intensiv, wo ich manchmal nicht mehr weiß, was meine Seele mir mitteilen möchte. Mit Yoga eine Reise zu sich selbst die niemals endet und bin sehr dankbar für dieses Geschenk.
    Danke liebe Silke für dieses Thema .
    Namasté
    Brigitte

    30. Juni 2016
    • Da steckst Du wohl gerade in einer sehr intensiven Phase, liebe Brigitte. Yoga ist eine lebenslange Reise – wie schön das ist! Ich wünsche Dir eine bereichernde Reise und vertrauensvolles Zuhören … Alles Liebe!

      30. Juni 2016
  2. Sandra said:

    Oh diesen Artikel kann ich sehr gut nachfühlen. Ich habe durch Yoga gelernt mich wieder zu spüren und meine Gefühle zu fühlen nachdem ich -wie ich heute erst weiß- ganz ganz viel viele Jahre weggedrückt habe. So manches konnte sich gar nicht entwickeln und vieles kam immer noch nicht nach oben. In meiner ersten Yogastunde vor nun fast 10 Jahren musste ich weinen. Seit dem bin ich am entdecken , auch dass manche Veränderungen ganz schön lange dauern können 🙂

    29. Juni 2016
    • Danke für Deine Zeilen, liebe Sandra. Da kommt dann wieder die Geduld ins Spiel 🙂 Ich wünsche Dir weiterhin spannende Entdeckungen!

      30. Juni 2016
  3. Lisa said:

    Liebe Silke, ein sehr spannendes und wichtiges Thema, über das wir uns während unserer YLA auch viel ausgetauscht haben, da es auch mich vor neue Herausforderungen gestellt hat. Schön geschrieben! 🙂

    26. Juni 2016
  4. Patrizia said:

    Ich glaube, Yoga zieht vor allem Menschen an, die ohnehin schon sensibel sind…
    Ich denke, es kann auch dabei helfen, diese Sensibilität gewissermaßen auszubalancieren und „unter Kontrolle zu bringen“, indem zum Beispiel Blockaden gelöst werden.

    24. Juni 2016
    • Das kann auf alle Fälle helfen, denke ich auch. Tendenziell zieht es vielleicht sensible Menschen mehr an, möglicherweise bleiben diese auch eher dabei. Aber ich bin mir nicht so sicher, denn Yoga ist ja ein weites Feld und es kommt darauf an, wie man es praktiziert und was man von den unzähligen Facetten für sich entdecken möchte.

      25. Juni 2016
  5. Sabi said:

    Wahre Worte!
    War gerade gestern beim Orthopäden…weil ich eine schlimme Blockade im Lendenwirbel hab…ja, mit Yoga wär mir das nicht passiert! Danke liebe Silke!

    23. Juni 2016
  6. nina said:

    wunderschön geschrieben <3

    23. Juni 2016

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