Mein(e) Yogalehrer: Wie viele dürfen es sein?

In der Yogatradition war das Lehrer-Schüler-Verhältnis* sehr eng und formalisiert. Der erfahrene, oftmals als erleuchtet geltende und die lebendige Wahrheit verkörpernde Lehrer (bzw. Meister oder Guru), hat ausgewählte Schüler (Jungen) während ihrer Kindheit und Jugend begleitet und sie in das weltliche Dasein eingeweiht. Es galt als Gnade, in diesen Lernprozess eintreten zu dürfen.

Stil-, Studio- und Lehrer-Hopping im Westen

Yogaschüler im Westen tragen heute gern Karten unterschiedlicher Yogastudios in ihren Taschen (ja, auch ich …). Ihr Herz schlägt beispielsweise für Vinyasa Yoga. Aber zwischendurch darf es auch Yin Yoga sein. Neben Jivamukti gesellt sich Acro Yoga. Manche bleiben einem Stil treu, probieren aber unterschiedliche Lehrer aus – je nach Freiraum und je nachdem, wie es sich in ihren Alltag integrieren lässt.

Manchmal ist das Studio ausschlaggebend, denn es hat so eine heimelige Atmosphäre, liegt günstig auf dem Nachhauseweg und bietet ein breites Kursangebot zum Switchen je nach Zeitkapazität. Im nächsten Studio ist es vor allem der Lehrer mit der klaren Ausrichtung, dem spirituellen Ansatz und der samtigen Stimme. Im dritten vielleicht die yogatherapeutisch bewanderte Lehrerin, die so wunderbare Assists gibt.

Viele halten ihrem Lieblingslehrer die Treue. Er ist wie eine Homebase. Dennoch besuchen sie auch die Stunden anderer Lehrer – aus zeitlichen Gründen, aus Neugier, aufgrund einer Empfehlung oder weil sie es als nützliche Ergänzung empfinden.

Lehrer-Schüler-Abschiede

Nach einem Wohnort- oder Arbeitsplatzwechsel liegt dein geliebtes Yogastudio mit dieser wunderbaren Hatha-Yogalehrerin nicht mehr günstig und du suchst dir der Einfachheit halber ein neues – auch wenn das bedeutet, einen Kompromiss einzugehen?

Deine Lieblingslehrerin hat zu viele Fortbildungen in einer Richtung absolviert und driftet deinem Geschmack nach zu sehr ab. Du findest, sie passt nicht mehr zu dir?

Der Lehrer, zu dem du immer gern gegangen bist, gibt den Kurs aus persönlichen Gründen ab. Du fühlst dich verlassen und verloren. Wohin nun?

Diese eine Lehrerin vermittelt dir das Gefühl, dich zu durchschauen. Du fühlst dich erkannt, durchleuchtet, gefordert – mehr als du gerade ertragen kannst. Du hast das Bedürfnis, auf Distanz zu gehen?

Lehrer-Schüler-Verhältnis

Über einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar über Jahre, einem Yogalehrer die Treue zu halten, schafft Beständigkeit, Bindung und Wachstum. Vertrauen ist die Basis für diesen gemeinsamen Weg. Die Praxis kann mehr in die Tiefe gehen. Vertraust du deinem Yogalehrer nicht oder stimmt die Chemie absolut nicht, wirst du weder lange bleiben, geschweige denn viel für dich selbst mitnehmen können.

Diese Verbundenheit schließt jedoch nicht den Blick nach rechts und links aus, wenn du dir zusätzliche Inspiration bei einem anderen Yogalehrer holen möchtest oder erkennst, dass sich beispielsweise zwei Lehrertypen für dich persönlich wunderbar ergänzen.

Es ist wichtig, sinnvoll und beruhigend, über eine lange Zeit mit einem erfahrenen Lehrer zu arbeiten. Denn er kennt dich und kann dich bei deiner Weiterentwicklung unterstützen.

Eine zu starke Fixierung auf eine Lehrerperson halte ich jedoch für fragwürdig. Mit Fixierung meine ich, dass Aussagen, Werte und Erfahrungen dieser einen Person als absolute Wahrheit verstanden werden und der Lehrer auf diese Weise idealisiert wird. Auch ein Yogalehrer ist nur ein Mensch mit einer Lebensgeschichte. Und wie kannst du wissen, was dir ein anderer vielleicht „geben“ kann, wenn du dich nie umschaust oder keine Offenheit Vertretungslehrern gegenüber zeigst? Dieses Umschauen ist nicht mit einem wahl- und ziellosen Hin- und Herspringen zu verwechseln.

Es macht absolut Sinn, eine Weile bei einem Lehrer zu bleiben, bevor du dich wirklich festlegst. Auch dann oder gerade dann, wenn dir dein Geist Unruhe oder Aversion signalisiert. Im Yoga Journal gibt es dazu einen anregenden Artikel, der Tipps für die Lehrersuche gibt und in dem es u. a. heißt:

„Einer der Gründe, warum es so wichtig ist, sich für eine bestimmte Zeit auf einen Lehrer festzulegen, liegt genau hier: Es zwingt Sie, die unvermeidlichen Phasen der Unruhe, der Gelangweiltheit oder des Zweifelns durchzustehen.“

Wer ist Lehrer – wer ist Schüler?

Ich spreche gern von Teilnehmern, weniger gern von Schülern. Einfach, weil ich als Yogalehrerin immer auch Schülerin bleiben möchte. Das mag etwas abgedroschen klingen, aber ich lerne einfach so viel von meinen Teilnehmern. Sie animieren mich unbewusst immer wieder dazu, weiterzulernen. Umgekehrt sind die Schüler selbst immer auch Lehrer, wenn sie sich erlauben zu spüren und auf sich zu achten. Ich empfinde es als gleichwertiger. Diese Terminologie (in der kaum ein Yogalehrer als Guru bezeichnet werden würde) entspricht sicherlich auch stärker unserer westlichen Gesellschaft.

Fazit

Wie viele Yogalehrer „dürfen“ es denn nun sein? Darauf kannst nur du selbst eine Antwort finden. Es ist sicherlich auch abhängig von Typ und Lebensphase. Doch wirf die Flinte niemals zu früh ins Korn, und gib die Verantwortung für deine persönliche Entwicklung nicht ab. Denn Yoga beginnt dort, wo deine Komfortzone aufhört.

*Ich nehme es im Artikel nicht so genau mit der männlichen und weiblichen Form und bitte um Nachsicht. Natürlich meine ich immer Lehrerin und Lehrer.

(Beitragsbild: © https://unsplash.com/@censey)

3 Comments

  1. Katharina said:

    Hallo Silke

    Ich glaube, dass das strenge Schüler-Lehrer-Konzept heute nicht mehr wirklich Bestand hat. Ich denke, dass das – wie alles im Leben – Vor- und Nachteile hat. Für mich überwiegen aber die Vorteile. Dazu gehört für mich, dass ich immer wieder neue Blickwinkel kennenlerne sowie Impulse aus anderen Stilrichtungen aufnehmen kann. Ich finde das sowohl fürs Praktizieren als auch für das Unterrichten sehr hilfreich.

    Übrigens bin ich überzeugt, dass das eine das andere nicht ausschliesst. Man kann schliesslich über längere Zeit bei mehreren Lehrern lernen.

    Viele Grüsse
    Katharina

    19. März 2017
  2. Silja said:

    Ein sehr schöner Artikel. Ich hatte eine wahnsinnig gute Yoga Lehrerin in Sky (von Yoga at Sky) gefunden, dieses Vertrauen war so etwas schönes. Die Sicherheit zu haben, sich einfach fallen lassen zu können.
    Aber jetzt bekomme ich wiederum sehr viel Input von verschiedenen Lehrern, dass ist auch sehr bereichernd.
    Liebste Grüße

    2. März 2017
    • Dankeschön, liebe Silja! Es hat sicherlich beides etwas. Und unter der „vielfältigen Bereicherung“ findest Du vielleicht auch wieder Deine Homebase 🙂 Alles Liebe, Silke

      3. März 2017

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