Jeder Yogalehrer braucht ab und zu eine Yogavertretung für seine Kurse. Bin ich krank, steht bei mir Urlaub an oder habe ich einen wichtigen Termin, dann bin ich sehr dankbar, wenn eine andere Lehrerin oder ein anderer Lehrer meine Kursvertretung übernimmt. Umgekehrt sage ich gern eine Vertretung zu, wenn ich Zeit habe.
Yogavertretung trotz eigener Pause?
Im August diesen Jahres ging es bei mir yogatechnisch ruhiger zu. Meine festen Kurse haben pausiert, ich habe mir nur ausgewählte Yogaklassen im Freien „gestattet“. Passend, denn mein Körper hat nach einer Auszeit und mehr Ruhe verlangt.
Aber dann kam in dieser Zeit eine Vertretungsanfrage hier, eine Vertretungsanfrage dort. Mein Verstand hat schneller zugesagt als mein Bauch hätte antworten können. Denn: Ich hatte ja Zeit. Und vor allem: Wenn ich eine Vertretung brauche, freue ich mich genauso über die Unterstützung. Da empfinde ich ein starkes Gefühl von Geben und Nehmen. Schließlich kann die Suche nach einer Vertretung wirklich zu einer Geduldsprobe werden.
Kann es unpassend sein, eine Vertretung anzunehmen?
Doch dann merkte ich nach einer Zusage, dass es mir nicht gut tut. Dass ich die Signale meines Körpers aus „Hilfsbereitschaft“ heraus ignoriert habe.
Bei manchen Vertretungen schleicht sich ein weiteres Gefühl ein: nämlich das, für die geforderte Stunde nicht kompetent genug zu sein.
Bei einer Vertretungsstunde fällt es vielleicht nicht so ins Gewicht, wenn ich in dem zu vertretenden Stil nicht ausgebildet bin. Ich kann ja den Fokus verändern und das entsprechend ankündigen. In der Regel lassen sich die Teilnehmer auch darauf ein.
Vielleicht könnte ich – auf Basis der ein oder anderen Fortbildung – eine Yin-Klasse vertreten. Doch mangels Yin-Ausbildung wäre es wohl eher eine freie Interpretation nach bestem Wissen und Gewissen.
Nach bestem Wissen und Gewissen habe ich auch schon Schwangerenkurse vertreten. Sicherlich mit ausreichend Empathie und basalen Kenntnissen ausgestattet. Dennoch hat es sich für mich niemals stimmig angefühlt. Ohne Prenatal-Ausbildung und ohne selbst jemals schwanger gewesen zu sein, fühlt sich das Unterrichten solcher Klassen für mich nicht authentisch an.
Und so habe ich beschlossen, die schwangeren Damen den Expertinnen zu überlassen und nicht mehr aus dem Willen unterstützen zu wollen, einen solchen Kurs zu vertreten.
Satya bei Vertretungszusagen
Satya, die Wahrhaftigkeit, hat mich bei dieser Entscheidung begleitet. Ich frage mich ehrlich:
- Habe ich gerade selbst Yogapause und brauche sie auch?
- Bin ich qualifiziert genug für einen bestimmten Stil oder kann ich in der Stunde einen anderen Schwerpunkt anbieten?
- Habe ich wirklich Zeit für die Vertretung oder quetsche ich sie irgendwie in meinen Tagesablauf und bekomme vor lauter Stress am nächsten Tag die Quittung?
Je nach Antwort auf diese Fragen – und je nach Ausweglosigkeit bei der Suchenden oder dem Suchenden – darf ich eine Vertretungsanfrage guten Gewissens auch mal ablehnen und darauf vertrauen, dass sich jemand findet, der für diese Stunde besser passt als ich in diesem Moment. Das alles, obwohl es meinem Wunsch entspricht, niemanden hängen zu lassen, wenn er eine Vertretung braucht.
Eine Entscheidung auf dieser Basis ist mir selbst, der entsprechenden Lehrerin oder dem entsprechenden Lehrer und auch den Teilnehmern gegenüber nur fair – die von einer Vertretung vielleicht nicht den von ihrem Lehrer gewohnten Ablauf und die Persönlichkeit erwarten (können), aber dennoch eine adäquate und präsente Vertretung.
Warum trage ich dieses Thema nach außen, wo ich gerade in nächster Zeit selbst auf Vertretungen angewiesen bin? Weil es zeitlos ist. Weil es mich schon länger beschäftigt. Weil wir nicht ohne einander können (und wollen!) und trotzdem auf uns selbst achtgeben müssen. Weil es jederzeit gesagt werden darf.
An dieser Stelle ein RIESIGES Dankeschön an alle Lehrerinnen, die meine Kurse während meines anstehenden Urlaubs vertreten!!!
(Photocredit: ©Jacqueline Kulka / jKnOw photo design)
Vertretung anbieten und übernehmen, ja immer gerne, weil es den Unterricht belebt, neue Impulse setzt, Veränderung anbahnt, weil Leben Veränderung bedeutet, weil Fixierung nur auf eine Person ungesund ist, weil es abwechslungreich ist, weil es Kontinuität für die Schüler bedeutet, den Horizont von Schüler und Lehrer erweitert und weil wir alle Teil eines Großen Ganzen sind.