Flow Yoga, Vinyasa Flow, Flow Vinyasa – so oder ähnlich heißen fließende Yogastunden im Westen. Mir liegt dieser Yogastil vermutlich deshalb, weil er etwas Tänzerischen und sehr Geschmeidiges an sich haben kann. Ich schreibe kann, weil sich manche solcher Klassen für mich extrem stressig anfühlen. Also nicht unbedingt wie Yoga …
Slow-Flow oder Speed-Flow?
Ganz sicher scheiden sich daran die Geister. Mein Geist meint: lieber achtsamer (dabei durchaus intensiver) „Slow-Flow“ als stressiger „Speed-Flow“. Wenn Du nur noch schwungvoll durch die Asanas hetzt, wirst Du vermutlich kurzatmig oder hörst zwischendurch sogar ganz mit Atmen auf. Eben so, wie wir es manchmal aus dem Sport kennen, wenn es richtig anstrengend wird und wir verbissen weitermachen.
Aber ist nicht der Atem das verbindende Element im Yoga?! Er fungiert als Brücke zwischen Körper und Geist. Dank ihm gehen Körper und Geist erst die erwünschte Symbiose ein. Dein Atem darf in fordernden Sequenzen tief und kraftvoll werden, Dich in der Intensität unterstützen und Dir gleichzeitig Deine Grenzen aufzeigen. Doch er darf nicht auf der Strecke bleiben. Denn dann kannst Du im Grunde auch in die nächste Aerobicstunde pilgern.
Sehr zügiges und kraftvolles Vinyasa kann ein Mittel sein, den Geist zum Schweigen zu bringen. Der kommt bei diesem Affenzahn mit Denken nämlich gar nicht hinterher. Trotzdem solltest Du Deinem eigenen Atemtempo folgen können.
Der Flow – Sinnbild für Lebenssituationen
Unabhängig vom Tempo stehen fließend ineinander übergehende Asanas für mich sinnbildlich für das Leben. Der eine Moment fließt in den nächsten. Die eine Situation geht sanft und unaufgeregt vorbei, die andere triggert und bringt Dich ans Äußerste. Leichtigkeit und Freude wechseln sich mit Frust und Kraft ab. Der Atem verbindet den einen Moment mit dem nächsten.
Auch wenn sich manche Lebensphasen stagnierend anfühlen mögen, weil Dein Alltag nach dem ewig gleichen Schema abläuft, keine besonderen Spannungsbögen aufweist und Du Dich im Stillen schon mal fragst „Kann das wirklich alles gewesen sein?“ – der Atem verbindet den einen eintönigen Moment mit dem nächsten. Was ein Glück!
Manchmal musst Du Deine Komfortzone ganz bewusst und eigeninitiativ aufbrechen, um Entwicklung und Neuentdeckungen zu ermöglichen. Das gilt genauso für Deinen Beruf, Dein Familienleben, Dein Yoga …
So richtig fängt Entwicklung erst da an, wo die Komfortzone aufhört – das kann auch mal ganz schön unangenehm sein, ist aber nicht zu ändern. In der Komfortzone ist es gemütlich, vertraut und vermeintlich sicher. Was daneben auf Dich wartet, kann Ängste auf den Plan rufen. Du erfährst es nämlich erst, wenn Du auch hingehst.
Doch sich erst mutig diesen Ängsten zu stellen, bewegt wirklich. Und da hört die Stagnation auf. Jenseits der Komfortzone kann es bewegt, aufregend, beängstigend, motivierend und unbekannt zugehen.
Deinen Atem brauchst Du also sowohl, wenn es Dir mit den Bewegungen im Leben gut geht, als auch wenn Dich Asanas und das Leben (heraus-)fordern.
Aber braucht es in jeder Phase den gleichen Flow – ob nun gediegen oder zackig?
Flowphasen im Leben
Viele Menschen sind enorm gestresst, stehen unter Dauerdruck, sind permanent gefordert und springen von einer Rolle in die nächste. Der Besuch der Yogaklasse ist nur einer von vielen Terminen, die rasch zwischendurch „abgearbeitet“ werden. Abschalten kann da schon mal ordentlich schwer fallen – wenn das Smartphone angeschaltet neben der Matte liegt umso mehr. Das Unterbewusstsein ist dann nämlich empfangsbereit.
Stress
Ich bezweifle, ob eine flotte Power-Yogaklasse das Richtige ist, wenn Dein Stresslevel gerade immens hoch ist. Wann soll das System da mal runterfahren dürfen und können? Eine Hatha-Stunde – die zwar entschleunigt ist, aber durchaus anstrengend sein kann – oder eine Yin-Stunde mit Yang-Anteil könnten hier besser passen. Klar, niemand kann von 180 auf Knopfdruck herunterfahren. Irgendwo musst Du „Dampf ablassen“, sodass sich die angestauten Energien entladen können. Aber der Parasympathikus, der Ruhenerv, braucht wirklich Pflege!
Gleichmaß
Es gibt Phasen, da pendelt sich das Leben auf vertrautem Terrain ein, da beruhigen immer ähnliche Abläufe. In dieser Zeit macht es vielleicht Sinn, Dich auf der Matte ein wenig mehr zu fordern und im kernigen Flow die Möglichkeiten jenseits Deiner Komfortzone zu erkunden.
Aufregung
Stress kann auch positiv sein. Wenn Du von etwas total angetan bist, energiegeladen und voller Leidenschaft eine Sache angehst, dann brennst Du nur so vor Aktionismus und kommst vor lauter Begeisterung kaum noch runter. In solch lebhaften Lebensphasen (ob bewusst gewählt oder von außen geschickt) kann es sehr angenehm sein, im Yoga sanft durch bekannte Sequenzen zu fließen und Deinem regen Geist mit vertrauten Abläufen eine gewisse Stabilität zu vermitteln.
Veränderung
Durchläufst Du gerade eine intensive Phase der Veränderung, kann Dich ein dynamischer Flow in Deiner Energie unterstützen und Dich weiter „antreiben“. Spüre aber gut in Dich hinein. Vielleicht ist es auch angebrachter, ein wenig runterzufahren und sehr achtsam mit Dir zu sein. Diese innere Ruhe kann kraftvoll und ein hilfreiches Tool sein, um Veränderungen anzugehen und Dinge voranzubringen.
Trauer
Wenn Du schon einmal getrauert hast, wirst Du wissen, dass Trauer lähmen kann. Im Laufe der Trauerphasen kommen die unterschiedlichsten Gefühle an die Oberfläche. Auf asanayoga gibt es einen schönen Artikel zum Thema Yoga und Trauer. Irgendwann in der langen Phase des Trauerns kommt der Moment, wo Du Dich (wieder) ein wenig bewegen kannst und solltest. Dein Atmen fließt weiter. Und Atem ist Bewegung. Wenn Du Dich aktiv bewegst – und wenn es nur eine ganz kurze Sequenz ist, sendest Du ein Signal an Geist und Körper, dass Du in Bewegung bleibst, dass es irgendwie weitergeht. Du kannst Dich wahrnehmen und Dir stückweise Deinen Halt im Leben zurückerobern.
Es ließen sich hier noch unzählige weitere Szenarien aufzeigen. Selbstverständlich musst Du selbst fühlen und für Dich entscheiden, welche Art von (Yoga-)Flow in welcher Phase für Dich passend ist. Ich kann nur dazu ermuntern, ehrlich zu Dir zu sein und keinem Trend zu folgen. Bei aller Orientierung an den Ansagen Deines Yogalehrers, erlaube Dir Deinen eigenen Raum zum Fühlen zu betreten und das Yoga an Deine Bedürfnisse anzupassen. Es geht um Dich, um Dein Yoga, Deine Selbstwahrnehmung – und wie Du mit Deiner Umwelt in Interaktion trittst.
(Beitragsbild: © https://unsplash.com/@stephenleo1982)
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